Affären und Seitensprünge
Lustlosigkeit und sexuelle Unzufriedenheit bedrohen den Bestand einer Paarbeziehung meist erst dann nachhaltig, wenn eine Außenbeziehung das eingeschlafene Sexualleben ins Blickfeld rückt. Die Frage, ob der Partner einen noch attraktiv und begehrenswert findet, gerät schlagartig wieder ins Blickfeld.
Beweggründe
Deutlich mehr als die Hälfte der fremdgehenden Partner führen Beziehungsprobleme als Grund an. Daneben werden aber auch genannt: Neugier, Langeweile, Trieb, die Bestätigung der eigenen Attraktivität oder die Sehnsucht danach, begehrt zu werden. Eine Affäre ist in den seltensten Fällen "nur Sex“, sondern fast immer auch Balsam fürs Selbstwertgefühl. Die amerikanische Paar- und Psychotherapeutin Michele Scheinkman dazu: „Wenn ich mir Lebensgeschichten anhöre, in denen es Affären gab, scheint mir klar, dass die Emotionen und Bedeutungen, die jemanden in eine Affäre treiben, meistens mit Sehnsucht zu tun haben. Diese Sehnsucht betrifft eine bestimmte Art der emotionalen Verbundenheit, Selbstvergewisserung, Selbstfindung, den Reiz des Neuen, Freiheit, vielleicht auch den Wunsch, verlorene Teile des Selbst wiederzuerlangen.“
Lebendigkeit vs. Gewohnheit
Der erotische Ausnahmezustand des Verführungsspiels und der täglichen Sehnsuchtsbekundungen erzeugen eine lange vermisste Lebendigkeit. Diese steht im starken Kontrast zu den Zwängen und Ansprüchen einer langjährigen Beziehung, die sich häufig genug irgendwo zwischen Freundschaft und geschwisterlicher Verbundenheit einpendelt. Im Kontrast zu den emotionalen Grautönen des Alltags mit seinen ewig wiederkehrenden Gewohnheiten. Zu den konfliktbehafteten Themen, die sich im Laufe der Jahre aufsummieren, und wo jedes unbedachte Wort eine Tretmine vergangener Verletzungen sein kann. Zur unausgesprochenen Frage bei gelungenen Veränderungsschritten, ob es sich dabei („wie immer“) nur um eine Eintagsfliege handelt.
In der Affäre hingegen kann man sich eine Parallelwelt erschaffen, in der für Momente die Illusion entsteht, ein anderer sein zu können. In den Augen eines Menschen, der einen noch nicht so gut kennt, eröffnet sich eine neue Chance, dem Ideal unseres Selbst wieder ein Stück näher zu kommen. Zumindest für eine gewisse Zeit können wir uns im verliebten Blick des Anderen quasi neu erschaffen. Bei manchen entsteht so ein Gefühl von grenzenloser Freiheit. Für andere ist es auch nur eine willkommene Flucht vor dem, wer oder wie sie sind.
Emotionaler Ausnahmezustand
Wenn es nicht ums Müssen geht, sondern ums Wollen oder Können, fällt vieles plötzlich wieder leicht: das Interesse füreinander, die Lust aufeinander, das Wagnis von intimer Offenheit und Tabulosigkeit. Alles fühlt sich lebendiger und aufregender an. Neugier und Draufgängertum werden neu entdeckt. Verantwortlich dafür ist auch eine Vielzahl von Glückshormonen, die dem körpereigenen Chemie-Cocktail eines Manisch-Depressiven in einer manischen Phase vergleichbar ist. So erzeugen Affären einen körperlichen High-Zustand, der der Wirkung von Drogen vergleichbar ist. In diesem emotionalen Ausnahmezustand will keiner der Beteiligten die Frage stellen, ob das allgegenwärtige Prickeln und die eruptive Leidenschaft eher der Besonderheit der Person oder des Moments geschuldet sind.
Der Anthropologe Donald Symons formuliert es so: "Begehrt ein Mann eine Frau mit der er nicht verheiratet ist, dann liegt das größtenteils daran, dass er eben nicht mit ihr verheiratet ist. Begehrt wird das Neue an sich."
Beschädigtes Vertrauen (auf beiden Seiten?)
Grundsätzlich gilt: Affären werden verheimlicht. Dies gelingt meist nur, wenn man den Partner anlügt. Zum einen, indem man angibt, irgendwo gewesen zu sein, wo man nicht war. Noch unmittelbarer jedoch, indem man einen möglicherweise vagen Verdacht des Partners - meistens empört - zurückweist. Schon die Ausreden und „Geschichtchen“ beschädigen das Vertrauen, die „Lügen ins Gesicht“ werden jedoch meist als noch größere Verletzung empfunden. Hin und wieder schlimmer als die Affäre selbst. In einer für das Paar kritischen Situation nicht die Wahrheit zu sagen, vielleicht sogar einen Verdacht abzustreiten, verletzt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Intelligenz des Partners. Man fühlt sich „für dumm verkauft“. Genau das ist oft am schwersten zu verzeihen. „Wie soll ich Dir jemals wieder etwas glauben?“ lautet einer der häufigsten Sätze in Paargesprächen, deren Anlass eine Affäre ist.
Ein Vertrauensbruch kann jedoch auf beiden Seiten vorliegen. Immer mehr Affären werden dadurch entdeckt, dass der Partner „zufällig“ ins Handy geguckt und dort eine verfängliche Nachricht gefunden hat. Eine gezielte Kontrolle wird meist abgestritten. So ist man nicht, will man nicht sein. Also war es Zufall. Die eigene Beschädigung der Vertrauensbasis wird angesichts der Empörung über das Fremdgehen des Partners gerne klein geredet. Nach einer Affäre kann also für beide Partner das mühsame Zurückgewinnen des verlorenen Vertrauens eine Herausforderung sein. In der Regel übernimmt ein starkes Kontrollbedürfnis zunächst die Regie. Es lauert die Angst vor Wiederholung und schlägt beim kleinsten Indiz zu.
Akute Krise?
Falls Sie sich durch eine Affäre in einer akuten Krisensituation befinden, erleben Sie wahrscheinlich gerade ein Auf und Ab der Emotionen. In der Regel geht es nun zunächst um den Umgang mit den Verletzungen, die durch das enttäuschte Vertrauen entstanden sind. Weiterführende Informationen hierzu sowie den Zielen einer Paarberatung in dieser Situation finden Sie hier.
Krise ist ein produktiver Zustand!
Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
(Max Frisch)