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Zwischen Wohn- und Familiengemeinschaft


In meinen Beratungen erlebe ich bei Paaren, die sich in einem langjährigen Prozess körperlich und oft auch seelisch fremd geworden sind, häufig eine beiderseitige Erschöpfung. Auch Rat- und Hilflosigkeit sind spürbar. Auf partnerschaftlicher Ebene ist ein Großteil der einst empfundenen Verbundenheit verloren gegangen, auch wenn das Alltagsmanagement des „Familienbetriebs“ recht reibungslos funktioniert. Da jeder jedoch mehr und mehr in seiner eigenen Welt lebt, fühlt es sich eher nach Wohngemeinschaft als nach Paarbeziehung an. Eine Sehnsucht nach dem, was verloren gegangen ist, besteht zwar noch, aber beide sind unfähig, Intimität weiterhin miteinander zu teilen - sei es auf erotischer oder kommunikativer Ebene. Manchmal besteht jedoch ein beiderseitiges Interesse, die Elternbeziehung aufrechtzuerhalten und den Familienverbund zu erhalten. Hinzu kann kommen, dass es sich für beide unwirklich anfühlt, das zu verlassen, was man gemeinsam aufgebaut hat.

In einer solchen Situation kann es eine Alternative zum klassischen Partnerschaftsmodell sein, aus der gefühlten Wohngemeinschaft eine vereinbarte Familiengemeinschaft zu machen. Die größte Herausforderung ist dabei meist, die Befriedigung sexueller Bedürfnisse außerhalb der Partnerschaft zu bejahen. Denn auch wenn beide kein Interesse mehr an einer gemeinsamen sexuellen Begegnung haben, wird eine Außenbeziehung in der Regel als Bedrohung empfunden. Nicht zuletzt für das eigene Selbstwertgefühl. Es bedarf daher einer gemeinsamen Entscheidung, sich auf Regeln für ein solches Modell zu verständigen - mit einem klaren Blick auf alle Vor- und Nachteile.

Zweck dieses Modells ist vor allem, den Familienverbund und einen gemeinsamen Haushalt aufrechtzuerhalten. Es existiert keine Paarbeziehung im engeren Sinne mehr, gegenseitiger Respekt und Verständnis für die Belange des anderen sind jedoch unbedingt erforderlich. Ist der Respekt vor dem Partner durch Über-/Unterlegenheits-Gefühle und damit korrespondierende Verletzungen verloren gegangen, besteht die erste Herausforderung darin, wieder einen Umgang auf Augenhöhe zu finden.

Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Ziel, die Kinder zusammen großzuziehen, ihnen ein Elternhaus zu erhalten, das eine gewisse Sicherheit und Stabilität bietet. Hierzu gehört auch, die Endlosschleife aus sich stetig wiederholenden Konflikten und Streitigkeiten zu durchbrechen. Die jeweiligen Ansprüche aneinander werden auf das familiär notwendige Maß reduziert. Dementsprechend sind  möglichst konkrete Vereinbarungen bzgl. der jeweiligen Aufgaben im Rahmen der Kinderbetreuung zu treffen, ggf. auch Mechanismen bei auftretenden Zielkonflikten.

Es geht also um ein gemeinsames Alltagsmanagement, das auf der einen Seite die familiären Belange berücksichtigt. Auf der anderen Seite erhalten beide Partner Freiräume, ihre Bedürfnisse - auch sexueller Natur - außerhalb der Beziehung auszuleben. Es gibt diesbezüglich keine Erklärungs- oder Rechtfertigungspflichten. Im besten Fall empfinden beide Freundschaft füreinander oder eine Art Bruder-Schwester-Verhältnis. Körperliche Nähe jenseits von Erotik und Sexualität ist dabei nicht ausgeschlossen, sofern beide Seiten dies wünschen.

Wenn Du etwas haben möchtest, was Du noch nie gehabt hast, dann tu etwas, das Du noch nie getan hast!